Good Food Good Farming: Slow Food Netzwerk macht sich für einen europaweiten Verzicht auf Pestizide stark

03.11.2022 - Im Rahmen der Good Food Good Farming-Aktionstage hat eine Reihe lokaler Slow-Food-Gruppen im Verbund mit anderen europäischen Organisationen in ganz Europa Veranstaltungen organisiert, um für Agrarökologie und Biodiversitätsschutz zu werben und das Bewusstsein für die Notwendigkeit eines Übergangs hin zu einer pestizidfreien Landwirtschaft zu stärken.

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Angesichts der Versuche einiger Mitgliedstaaten und europäischer Gruppierungen, den Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln („SUR“) abzuschwächen oder hinauszuzögern, ist es von entscheidender Bedeutung, dass unsere Forderungen nach einem ehrgeizigen europäischen Ziel zur Verringerung des Einsatzes von Pestiziden um 80 % bis 2030 und einem vollständigen Ausstieg bis 2035 sowie konkreter Unterstützung von Landwirtinnen und Landwirten bei der Einführung agrarökologischer Anbaumethoden bei den politischen Entscheidungstragenden Gehör finden.

Dazu Marta Messa, Generalsekretärin von Slow Food: „Während einige alles daran setzen, jeden Versuch einer Abkehr von synthetischen Pestiziden zu unterdrücken, organisieren und zeigen die Gemeinschaften an der Basis bereits konkrete Wege, wie Lebensmittel auf umweltverträgliche Weise produziert werden können. Es ist an der Zeit, dass die politischen Entscheidungstragenden auf EU- und nationaler Ebene zuhören und couragiertes Handeln zeigen!“

Die wichtigsten Aktionen kurz zusammengefasst: 

Rumänien

Am 14. Oktober organisierte Slow Food Turda anlässlich des Welternährungstages in Cluj eine an Jugendliche gerichtete „Disco Soup“ (eine Aktion im Party-Format, in deren Rahmen aus Lebensmittelabfällen leckere Suppe gekocht wird), zu der Erzeugerinnen und Erzeuger, Verbraucherinnen und Verbraucher sowie lokale Entscheidungstragende eingeladen waren, um sich über die Risiken von Pestiziden und die der Landwirtschaft zur Verfügung stehenden Alternativen auszutauschen.

Frankreich

Am 16. Oktober organisierte eine Gruppe von Biowinzer*innen – darunter mehrere französische Slow-Food-Produzierende –, die allesamt der Initiative „DEPHY“ in der Region Côte Chalonnaise in Burgund angehören, ein gemeinsames Treffen. Ziel der DEPHY-Initiative ist die Entwicklung und Erprobung von Methoden zur Verringerung des Einsatzes synthetischer Dünge- und Pflanzenschutzmittel.  Man tauschte sich darüber aus, wie die Winzer*innen den Einsatz von Pestiziden verringern und agrarökologische Techniken für die Weinerzeugung entwickeln können.

Deutschland

Das Slow Food Youth Netzwerk in Hamburg organisierte einen Besuch des Biohofs Gut Wilkenshoff, zu dem alle interessierten Bürger*innen eingeladen waren. Ziel der Aktion war es, das Bewusstsein für eine agrarökologische, pestizidfreie Landwirtschaft, faire Preise für Kleinbäuer*innen und den Genuss, regional und saisonal anzupflanzen und zu essen, zu schärfen. 

Niederlande

Slow Food Niederlande wird am 5. November eine Demonstration veranstalten, um seine 8 politischen Empfehlungen für eine nachhaltige lokale Lebensmittelpolitik im Vorfeld der Provinzwahlen Anfang 2023 offiziell vorzustellen. Slow Food Niederlande ruft alle Parteien dazu auf, beim Thema Lebensmittel mehr Ehrgeiz zu zeigen, und appelliert an die Kommunen, sich bei der Sicherstellung gesunder und nachhaltiger Lebensmittel aus der Region stärker zu positionieren und für mehr Sichtbarkeit von Lebensmitteln in den Städten zu sorgen.

Kroatien

In Istrien wählte das Netzwerk einen pädagogischen Ansatz und organisierte Workshops zu agrarökologischen Methoden, die den Einsatz von Pestiziden überflüssig machen: Permakulturlösungen, Ökokompostierung, regionale Sorten, nachhaltiger Gartenbau usw. Kinder wurden eingeladen, einheimische Sorten zu entdecken und anzupflanzen.

Schweden

Am 21. Oktober taten sich die Slow Food Communities mit „Fridays for Future Stockholm” zusammen, um gemeinsam vor dem schwedischen Parlament eine Protestaktion durchzuführen, bei der weniger Pestizide in der Landwirtschaft und mehr Unterstützung für Landwirtinnen und Landwirte beim Übergang zur Agrarökologie gefordert wurden.

Seinen Höhepunkt erreichte der „Good Food Good Farming"-Monat am 27. Oktober mit einer Demonstration vor dem Europäischen Parlament in Brüssel, bei der sich zahlreiche Organisationen versammelten, um gemeinsam die EU aufzufordern, die strengen Vorgaben zur Reduzierung von Pestiziden in ihrer Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (SUR) beizubehalten. Pestizide sind eine der Hauptursachen für den Verlust der biologischen Vielfalt und ein Gesundheitsrisiko für viele Menschen – insbesondere diejenigen, die in der Nähe von landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten und leben, wie ein kürzlich veröffentlichter Bericht des „Good Food Good Farming“-Bündnisses zeigt, dessen Lenkungsausschuss auch Slow Food angehört.

Der „Pesticide CheckUp“-Bericht  ist das Ergebnis einer Citizen-Science-Aktion, bei der 300 Personen aus ganz Europa Haarproben eingesandt haben, um sie im Labor auf 30 verschiedene aktuell in der EU zugelassen Pestizide untersuchen zu lassen. Dabei wurde festgestellt, dass bei fast jeder dritten getesteten Person (29 %; 87 von 300 Teilnehmern) Pestizidrückstände im Haar gefunden wurden. Die Ergebnisse deuten außerdem darauf hin, dass Pestizidrückstände häufiger in den Haaren von Landwirtinnen und Landwirten und in der Landwirtschaft Beschäftigten (43,5 %) nachgewiesen werden können, was belegt, dass diese den Schadstoffen am stärksten ausgesetzt und daher am anfälligsten für gesundheitliche Schäden sind.

Anders als die Landwirtschafts- und Ernährungskonzerne uns glauben machen wollen, gibt es ausreichend Alternativen zu intensiven, umweltschädlichen und pestizidintensiven Monokulturen – und sie funktionieren. Das gegenwärtige Agrarsystem stellt für die Gesundheit der europäischen Bürger eine große Gefahr dar, da Menschen mit Chemikalien in Berührung kommen, ohne dies zu wollen oder, schlimmer noch, selbst wählen zu können. Das ist ein unhaltbarer Zustand, den viele ändern wollen, wie etwa die Zahl von 1,05 Millionen europäischen Bürgern, die die Europäische Bürgerinitiative (EBI) „Bienen und Bauern retten“ unterzeichnet haben, die Anfang dieses Monats von der Europäischen Kommission offiziell bestätigt wurde, deutlich zeigt.

Am 26. Oktober erklärte die für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit zuständige EU-Kommissarin Kyriakides, dass die durch den Angriffskrieg auf die Ukraine und die COVID-Krise verursachte Situation kein Grund sei, den Übergang zu nachhaltigen Lebensmittelsystemen hinauszuzögern – im Gegenteil, wir sollten ihn beschleunigen.

Slow Food kann dem nur zustimmen und fordert alle europäischen Entscheidungstragenden auf, sich der EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ zu verpflichten und ehrgeizige Maßnahmen zu ergreifen, um den Einsatz von Pestiziden weitestgehend einzuschränken, beginnend mit der Abschaffung ihres präventiven Einsatzes vor allem in der Landwirtschaft, aber auch im Gartenbau und in der Forstwirtschaft.

Methoden zur integrierten Schädlingsbekämpfung müssen verbindlich vorgeschrieben und europäische Richtlinien darauf ausgerichtet werden, den Übergang zur Agrarökologie zu unterstützen und Bewirtschaftungssysteme zu fördern, deren erklärtes Ziel eine Wiederherstellung der Symbiose von Natur und Landwirtschaft ist.

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