Bohnenreise(n) - Muss die Vielfalt wandern?

Vom 4. bis zum 5. Dezember fand in Lucca (Toskana) das Slow Beans Netzwerktreffen statt - ein in diesem Jahr erstmalig über Italien hinausgehender Austausch zu Hülsenfrüchten. Eine größere Vielfalt an Hülsenfrüchten auf Acker und Teller voranzutreiben ist ein wichtiges Anliegen von Slow Food. Denn Hülsenfrüchte sind eine wertvolle Eiweißquelle und wichtiger Bestandteil einer nachhaltigen und vielfältigen Landwirtschaft. Sie helfen, dem Klimawandel entgegenzuwirken und unterstützen die globale Ernährungssicherheit.

Marktstand (c) Elisabeth Berlinghof.jpgNachbericht des "Slow Beans" Netzwerktreffen in Lucca von Elisabeth Berlinghof, Slow Food Youth Berlin, Dezember 2021

Anfang Dezember durfte ich in Lucca in der Toscana am Slow Beans Netzwerktreffen teilnehmen. Zum ersten Mal seit der Gründung vor mehr als 10 Jahren wurden auch internationale Teilnehmer*innen zu dem Treffen eingeladen. Das hat einen guten Grund: Das Slow Beans Netzwerk soll künftig auch auf andere Länder ausgeweitet werden. Bisher fand es für italienische Produzent*innen statt, jährlich rotierend veranstaltet von den verschiedenen Convivien der Teilnehmenden in ganz Italien. Die „Communita leguminosa“ hat sich ursprünglich unabhängig von Slow Food aus Eigeninitiative der Produzent*innen gegründet. Mit ihrem Ziel, Bohnensorten zu erhalten, wurden viele von ihnen vorrangig für verrückt erklärt. Doch genau das schweißt zusammen! Und so hat der Austausch zwischen Landwirt*innen und Hülsenfrüchtefreund*innen neben guten Freundschaften auch einen große Plattform für Wissensaustausch hervorgebracht.

Dass Italien in der Wissenschaft als Hotspot für Bohnen-Diversität bekannt ist, zeigt sich bei diesem Treffen deutlich: Viele der Produzent*innen bauen „Slow Food Presidia-Sorten an. In Italien ist das eine von Slow Food gegründete Marke für geschmacklich großartige Produkte, die vom Aussterben bedroht sind. Für die Zertifizierung muss nachgewiesen werden, dass das Produkt historisch mit der lokalen Esskultur verknüpft ist, und dass bestimmte Aspekte des lokalen Ökosystems zur Qualität dieses Produktes beitragen. Probierportion (c) Elisabeth Berlinghof.jpgSo findet man beispielsweise die Riesenbohne aus dem Vallepietra Tal bei Rom schon in historischen Quellen aus dem 16. Jahrhundert. Komplett eingekesselt herrscht in dem Tal ein besonderes Mikroklima. Der Bergbach aus Quellwasser wird manuell für die Bewässerung der Bohnen umgeleitet und ist deshalb unersetzlich für den erfolgreichen Anbau der Bohne, die besonders zur Blüte viel Wasser benötigt. In diesem Tal gibt es heute nur noch vier Menschen, die diese Bohne anbauen. Durch die neu gewonnenene Aufmerksamkeit – die Ernennung zum Presidium – vermarkten sie die Bohne heute gemeinsam. Einen davon, Domenico, durfte ich auf dem Treffen kennenlernen. Er zeigte mir voller Stolz Bilder des Anbaus und servierte seine Bohnen ganz simpel, gekocht mit Olivenöl und Salz, damit man das besonderes delikate Kastanienaroma gut wahrnehmen konnte.

Der Anbau in Bergregionen ist bei den Produzent*innen von Slow Beans kein Einzelfall. So wird die meiste Arbeit im Netzwerk noch komplett manuell gemacht. Ich konnte es kaum glauben, als mir Anna, Produzentin aus Kampanien erzählte, dass sie sogar ihre Presidium-Kichererbse per Hand säe, ernte und sortiere. Das erklärt die hohen Preise vieler der Hülsenfrüchte-Sorten auf dem Markt, die oft von unwissenden Käufer*innen kommentiert werden, weil sie so viel höher sind als die Preise der Importware, die auch in Italien den Markt dominieren (98% der in Italien konsumierten Linsen werden importiert). So erzählten mir die Produzenten der Gialet-Bohne aus dem Veneto, dass diese zarte Bohne einst aufgrund ihrer goldenen Farbe an den Adel verkauft wurde. 

Die Handarbeit im Anbau der Bohnensorten ist mit großem Stolz besetzt und wird als Qualitätsmerkmal gesehen. Ich frage mich inwiefern hier eine Romantisierung von harter Arbeit stattfindet. Wie viele Stunden stecken hinter diesen Arbeiten wirklich und werden sie durch den erhöhten Preis honoriert? Gibt es eine nächste Generation, die diese Arbeiten so fortsetzen wird? Aus meinem aktuellen Agrarumfeld Brandenburg kommend, habe ich deshalb viel darüber nachgedacht, inwiefern Mechanisierung der Landwirtschaft die Preise von lokalen Bohnen zugänglicher machen könnte. Im Gespräch mit den italienischen Landwirten haben viele auf diesen Gedanken befremdet reagiert, weil sie mit Mechanisierung Monokultur, Pestizide, und Auslaugen des Bodens verbinden. Außerdem wurde mir entgegengebracht, dass solche Maschinen kleinen Landwirt*innen wie ihnen nie finanziell zugänglich wären und solche Investitionen also den Zwang von hoher Produktivität nach sich zögen, der wiederum oben genannte wenig nachhaltige Praxen bedeuten würde. Auch die Frage, ob die Energie für Maschinen langfristig noch verfügbar wäre, wurde in den Raum gestellt. Ich glaube, andere Wege sind möglich. Könnten nicht EU-Agrarförderungen genau solche Investitionen unterstützen und den Mehrwert von Hülsenfrüchten als gesundes, lokales Grundnahrungsmittel mit seinen Ökosystemleistungen mittragen? Könnten nicht neue, kleinere Maschinen und Roboterschwärme entstehen, die eine biodiverse Landwirtschaft ohne unterbezahlte Handarbeit ermöglichen?

Der Landwirt der Fagiolo secondo del piano orvieto zum Beispiel hat es selbst in die Hand genommen: Er hat eine Sortiermaschine aus dem letzten Jahrhundert umgebaut, damit sie Bohnen sortieren kann und eine kleine per Hand geschobene Sähmaschine konstruiert. Seine Bohnen haben mit 15 Euro pro Kilo den niedrigsten Preis auf dem Markt (Im Vergleich: Importierte getrocknete Bohnen aus dem deutschen Biomarkt je nach Sorte von 5 EUR/kg-15 EUR/kg)

Ich habe also viel über Mechanisierung nachgedacht. Deutschland und natürlich insbesondere Brandenburg ist gekennzeichnet von großteiliger, „industrialisierter“ Landwirtschaft. Mecklenburger Einlochbohne (c) Carla Ulrich.jpegDas ist absolut gegensätzlich zu den in Lucca kennengelernten italienischen Bohnen-Realitäten. Ich frage mich, ob es hier vor der grünen Revolution auch eine Vielzahl lokaler Ökotypen an Bohnen gegeben hat? Die Mecklenburger Einlochbohne, die vom Bohnenatlas erhalten wird, gibt einen Hinweis auf eine solche verlorene lokale Vielfalt. Der Stolz und die Verankerung einer lokalen Hülsenfrüchtesorte in der lokalen Esskultur ist in Deutschland weitaus weniger zahlreich vorhanden als in Italien. Lässt sich das ändern?

Die Bohnen, die ich in meinem Koffer nach Deutschland trage, sind aber nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Samen. Das ist der wohl größte Mehrwert von Landsorten, die von Landwirt*innen am Leben erhalten werden: Sie können vom selben Landwirt im folgenden Jahr wieder eingepflanzt werden. So passen sie sich scheinbar mit der Zeit auch immer besser an die lokalen pedo-klimatischen Bedingungen an, weil jährlich das genetische Material weitergetragen wird, das die besten Resultate erzielt. Also einfach gesagt, die schönsten Bohnen. Diese Anpassung an den Ort führen genau zu der genetischen wie kulturellen Vielfalt, die Slow Food durch die Presidia fördert.

Doch gibt es auch Herausforderungen: Unter den Produzent*innen im italienischen Slow Beans Netzwerk werden vermehrt Beispiele von Sommern mit starken Hitzewellen aufgrund des Klimawandels genannt, weshalb in manchen Jahren kaum Bohnen geerntet werden können. Das liegt vor allem daran, dass die Bohne dazu neigt, bei starker Hitze und Trockenheit ihre Blüten abzuwerfen. Manche Sorten bilden kontinuierlich Blüten, weshalb solche Hitzeperioden ohne Totalausfall überstanden werden können. Die Erträge sind dennoch gefährdet. Deshalb frage ich mich: Ist es nicht sinnvoll, die italienischen lokalen Bohnensorten experimentell auch in nördlicheren oder höher gelegenen Gebieten auszuprobieren? Ich denke, um funktionale Lösungen zu finden, macht es Sinn, so schnell wie möglich mit Experimenten anzufangen. Vieles wird schiefgehen, manches wird klappen.Bohnen verpackt (c) Elisabeth Berlinghof.jpg

So berichtet eine aus Bulgarien angereiste Forscherin, dass sie eine Presidiumssorte Tomaten neuerdings in höheren Bergregionen ausprobiert hat, wo sie besser wächst. Dies lässt vermuten, dass die klassische Betrachtungsweise von Slow Food Presidia Sorten vor einer Transformation stehen könnte. Was ist wichtiger? Der ursprüngliche Ort oder das genetische Material? Wie können wir langfristig die meisten Menschen gesund und angemessen ernähren?

Ich war begeistert zu hören, dass die meisten italienischen Bohnen-Produzent*innen ganz klare Werte vertraten: Samen sind dazu da, geteilt zu werden. So sehe ich die Bohnen in meinem Koffer nicht nur als Nahrung, sondern auch als Saatgut. Die Phaseolus Bohne kam ursprünglich aus Mittel- und Südamerika und vielleicht ist ihre Reise noch nicht beendet.

Als erste Aktion, die die Produzent*innen über die Grenzen zusammenbringt, gab es einen Bohnenaustausch:  Für ein gemeinsames Essen im Netzwerktreffen haben die Produzent*innen der deutschen Albleisa ein Paket nach Lucca geschickt. Die Linsen wurden von einem italienischen Koch nach seinem Rezept zubereitet. Danach wurde ich überrannt von Komplimenten der italienischen Landwirt*innen, wie köstlich und welch tolle Konsistenz unsere Albleisa hätte. Einer sagte sogar, normalerweise möge er keine Linsen, aber die Albleisa hätte das verändert. Demnach hier die Bitte der italienischen Produzent*innen, die schwäbischen Produzent*innen beim nächsten Treffen  kennenzulernen und von ihnen Linsen kaufen zu dürfen. Ich freue mich schon auf die Begegnung. Das nächste Treffen des Slow Beans Netzwerk findet im Dezember 2022 auf Sizilien statt!

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Text: Elisabeth Berlinghof

Elisabeth Berlinghof hat an der Universität für Gastronomische Wissenschaften in Pollenzo studiert und ist seither Aktivistin für Hülsenfrüchte bei Slow Food und Slow Food Youth, wo manche sie schon in Online Veranstaltungen zum Thema kennengelernt haben. Seit 2020 ist sie im KornLabor aktiv, ein Netzwerk für den Aufbau von Wertschöpfungsketten von Getreide und Hülsenfrüchten. 2021 hat sie als Tiny Farmerin verschiedene Sorten Hülsenfrüchte im Market Gardening in Brandenburg angebaut und den Anbau von Kichererbsen unterstützt. Seit Herbst macht sie ihren Master in Ökolandbau und Ernährungssystemen an der HNE Eberswalde.

Für Kommentare, Gedanken, Fragen und Kontakte: elisabeth.s.berlinghof@gmail.com oder auf Instagram über @elisabeetgut

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